Kunstwerk des Monats
Mai 2025

Handschuh, 1985

Meret Oppenheim (1913–1985)
Ziegenwildleder, von Hand passepoiliert, mit Siebdruck versehen
Vorzugsausgabe für Parkett Nr. 4
je ca. 21 x 12 cm, Ed. 60/150
Inv.-Nr. 1417

Feine rote Siebdrucklinien zieren die grauen Handschuhe aus Ziegenleder auf dem Handrücken. Es sind wohl die Adern der Künstlerin, Meret Oppenheim. Als eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, verstand sie es, Alltagsobjekte mit einer geheimnisvollen Aura zu versehen.

Die Handschuhe lassen sich in den Kontext von Oppenheims lebenslangem künstlerischen Interesse an Mode und Körperlichkeit einordnen. Bereits in den 1930er-Jahren entwarf sie Handschuhe für Elsa Schiaparellis (1890–1973) avantgardistische Modekollektionen – darunter Modelle mit Fellbesatz oder solche, die die Knochenstruktur der Hand nachzeichneten. Um 1936 entstand auch die Idee zu diesen Adern-Handschuhen. Der Entwurf war aber selbst den extravaganten Pariser Couturiers zu eigenwillig, zu verrückt, zu surreal. Fast 40 Jahre später griff die Kunstzeitschrift Parkett die Idee wieder auf und realisierte eine limitierte Vorzugsausgabe kurz vor dem Tod Oppenheims.

André Breton (1896–1966), der Begründer des Surrealismus, sagte einst, der Surrealismus solle die Menschen «wie ein Handschuh die Hand» umhüllen. Oppenheims Arbeit scheint dieses Bild aufzugreifen und verdreht es zugleich: Ihre Handschuhe umhüllen nicht nur, sondern enthüllen, indem sie die physische Realität der Hand durch die Aderzeichnung nach aussen kehren. Damit führen sie den Betrachter tief in das Reich des Unbewussten und machen auf subtile Weise den menschlichen Körper mit all seiner Zerbrechlichkeit sichtbar.

Oppenheim war zeitlebens eine Grenzgängerin, die sich gegen die Kategorisierung als «weibliche Künstlerin» wehrte und die «Androgynität des Geistes» betonte. Ihr Werk war durchdrungen von Humor und einer spielerischen Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Normen. Die Handschuhe sind ein stilles, aber kraftvolles Zeugnis ihres Schaffens: Sie zeigen die offene Struktur des Lebens, die Unmöglichkeit, sich wirklich zu schützen – und doch auch die Möglichkeit, Kunst als eine Art zweite Haut zu begreifen.

Heute befinden sich Exemplare dieser Edition in renommierten Sammlungen, unter anderem im Museum of Modern Art in New York und im National Museum of Women in the Arts in Washington, D.C. Sie werden auch im Kunst(Zeug)Haus nicht nur als Artefakte surrealistischer Kunst gezeigt, sondern auch als subtile Reflexionen über die Fragilität und Feinheit des Menschseins, die Meret Oppenheim in ihrer einzigartigen Bildsprache so meisterhaft darzustellen wusste.

Meret Oppenheim (1913–1985) reiste als 18-Jährige nach Paris und war eng mit Alberto Giacometti, Man Ray, Hans Arp, André Breton und Marcel Duchamp befreundet. Sie lebte in Deutschland, Paris und immer wieder lange Zeit in der Schweiz. Zuletzt im Tessiner Künstlerdorf Carona, wo die Künstlerin ihre letzte Ruhestätte fand.

Text: Julianna Ban

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